Es gibt mehrere Mythen, in denen der Bullenbrüller vorkommt. Die berühmteste Geschichte ist „Wie Orlanth um Ernalda warb“ (aus The Book of Heortling Mythology, von Moon Design Publications/Issaries). Nirgends wird jedoch erklärt, um was es sich bei dem Bullenbrüller handelt. Ist es das, was man vielleicht als Erstes vermutet? Oder ist es doch etwas ganz anderes? Hier kommen drei verschiedene Geschichten zur Bedeutung des Bullenbrüllers, die alle gleichzeitig richtig und wahr sein könnten.
I.
Als die Götterkriege herrschten, zog Orlanth oft mit seinen Brüdern in die Schlacht. Es gab viele Feinde: Die Schwergen des Weltherrschers wollten sich an Orlanth für dessen Tod rächen. Die Trolle waren in der Dunkelheit über die Welt hereingebrochen und fraßen wahllos Menschen, Tiere und Götter. Die Wassergötter versuchten Orlanth seinen Rang in allen Elementen streitig zu machen und überschwemmten Himmel, Luft und Erde. Und die Aldryami jagten jeden, der ihren Wäldern auch nur zu nahe kam. So musste Orlanth viele Kriege führen.
Doch mit jeder Schlacht wurde Orlanth auch bekannter und berühmter, und so schlossen sich immer mehr Göttinnen und Götter seinem Freiheitskampf an. Zuerst waren es nur Windgötter. Nachdem Orlanth dann Ernalda geheiratet hatte, folgten auch viel Erdgöttinnen und Erdgötter. Später trat mit Elmal dann der erste Feuergott dem Sturmstamm bei. Schließlich folgte mit Heler sogar noch die erste Wassergottheit. So wuchs der Sturmstamm immer weiter an.
In dem gleichen Maße wuchs aber auch das Kampfgetöse auf den Schlachtfeldern. Immer mehr Leute schrien und riefen durcheinander. Manche wollten Befehle geben, andere brüllten vor Schmerzen. So kam es, dass niemand mehr den anderen verstehen konnte. Der Lärm war ohrenbetäubend. Orlanth versuchte über das Getöse hinweg zu brüllen, doch obwohl der Wind seine Stimme weit trug, konnten ihn schon die nächsten seiner Gefährten nicht mehr verstehen.
Da ging sein großer Bruder Urox, der Sturmbulle, zu einem seiner Kinder. Er nahm sein Schwert und schlug seinem Sohn ein Horn vom Kopf. Dann hackte er die Spitze des Horns ab. Mit einem Messer schnitt er sich selbst zusätzlich ein Büschel Haare ab und band das Horn daran. Daraufhin brachte er sein neues Gerät zu Orlanth. Dieser erkannte sofort, was Urox ihm da geschenkt hatte. Augenblicklich nahm Orlanth das Horn und wirbelte es durch die Luft. Über dem ganzen Schlachtfeld ertönte das Signal und nun wussten seine Leute, was sie zu tun hatten. Die Schlacht wurde gewonnen, und seither trägt Orlanth den Bullenbrüller stets an seiner Seite, wenn er in den Krieg zieht.
II.
Orlanth ist nicht nur der mächtigste der Götter und ihr König. Orlanth ist auch der größte Bauer und damit der wichtigste Ernährer seines Sturmstammes. Orlanth pflügt die Felder, hütet die Schafe und züchtet die Rinder, damit seine Familie stets genügend zu essen hat. Doch die Viehzucht und der Ackerbau waren damals für die Götter keine einfachere Aufgabe, als dies heute für uns Menschen ist. Die Ernte konnte schlecht ausfallen und das Vieh konnte gestohlen werden.
So passierte es auch in einer langen Nacht, dass die Uz auf Orlanths Land eindrangen. Sie schlichen sich im Schutze der Finsternis heran und fraßen viele Kühe von der Weide und sogar den großen Leitbullen der Herde. Als Orlanth dies bemerkte, griff er sofort nach seinen Waffen und tötete die Eindringlinge. Doch für die meisten seiner Tiere kam alle Hilfe zu spät. Die eine Hälfte von ihnen war gefressen worden und die andere Hälfte hatte sich aus Angst und Panik in alle Winde zerstreut. Normalerweise hatte der große Leitbulle Orlanth dabei geholfen, die Herde zusammenzuhalten. Wenn er brüllte, kamen alle Kühe angelaufen. Doch dies war nun nicht mehr möglich. Orlanth machte sich also sofort daran seine Tiere wieder einzufangen. Doch diese Aufgabe erwies sich als schier unmöglich.
Dann traf Orlanth plötzlich eine Göttin, die er zuvor noch nie gesehen hatte. Sie war die Tochter eines Pflanzengottes und Uraldas, der Mutter der Kühe. Sie zeigte ihm ein besonderes Grasbüschel von dem Orlanth essen sollte. Er kniete sich auf den Boden und aß es. Doch als er etwas sagen wollte, kam aus seinem Mund nur das Brüllen eines Bullen. Seine Kühe hörten dies und kamen angelaufen. Schon bald hatte Orlanth seine Herde wieder beisammen – und das Überleben des Stammes war gesichert.
III.
Orlanth, Yinkin und Eurmal waren gemeinsam unterwegs, um die Welt zu erkunden, als sie einen Handwerker trafen. Dieser hatte viele schöne und exotische Waren, die er anbot. Das letzte Stück, das er fertiggestellt hatte, war sein Meisterwerk. Es war ein großer und eleganter Phallus. Sofort waren Orlanth, Yinkin Eurmal beeindruckt von dem stolzen Zeichen der Manneskraft und jeder wollte es besitzen. Der Handwerker jedoch sagte, dass das sein bestes Stück sei, dass er je vollbracht hatte. Nun würde er sich zur Ruhe setzen und keine weitere Arbeit mehr leisten. Die drei Freunde mussten sich also entscheiden, wer das Gemächt sein Eigen nennen durfte. Um zu entscheiden, wer von ihnen die besten Liebhaberqualitäten habe, würden ein jeder mit einer Frau seiner Wahl schlafen. Währenddessen würden die anderen beiden außerhalb des Bettes lauschen, welche Frau am lautesten die Kunst des Liebhabers beurteilte.
Orlanth war der Erste. Er wählte eine Göttin, die ihm beim letzten Frühlingsfest schöne Augen gemacht hatte. Die beiden gingen gemeinsam in seine Kammer und vergnügten sich ausgiebig. Yinkin und Eurmal, die vor der Tür gewartet hatten, mussten hinterher zugeben, dass man die Göttin im ganzen Hause jauchzen gehört hatte.
Als nächstes war Yinkin an der Reihe. Er stromerte über Berge und durch Täler, bis er die attraktivste aller Göttinnen gefunden hatte. Die beiden hatten sieben Tage lang ohne Unterlass ihre Freude aneinander. Später mussten Orlanth und Eurmal zugeben, dass man die Göttin über alle Berge und Täler hinweg hatte hören können.
Als Dritter kam Eurmal dran. Er schlich sich heimlich davon und stahl des Phallus des Handwerkers. Damit ging er dann in Uraldas Stall und beglückte eine ihrer Kühe. Danach schlief er erschöpft bei ihr ein. Orlanth und Yinkin waren sich einig, dass das Gebrüll von Eurmals Liebster mit Abstand das Lauteste gewesen sei. Am Morgen gingen sie zu ihm, um ihm zu gratulieren, als sie sahen, wen sich Eurmal als Nachtgefährtin ausgesucht hatte.
Doch wie immer hatte Eurmal sofort einen Ausweg parat. Er schlug Orlanth ein Geschäft vor. Wenn Orlanth nicht herumerzählen würde, mit wem Eurmal die Nacht verbracht hatte, dann würde Eurmal ihm dafür seinen neuerworbenen Bullenbrüller schenken.