von Oliver D. Bernuetz
Die Herdmutter saß an der Feuerstelle in der Finsternis mahlte Ocker. Ihre Knie erlaubten es ihr nicht mehr zu hocken, daher hatte sie sich hingesetzt. In die Dunkelheit hinein sprach sie: „Was willst Du?“. Sie meinte einen nackten Jungen, der sich ans Feuer schlich. Er erschrak wie ein Hase und wäre beinahe davon gelaufen, da die Herdmutter einen bedrohlichen Ruf unter den Jungen hatte. Doch nach einer Weile faste er sich ein Herz und kroch in ihre Sicht. Als sie ihm über das Feuer hinweg zunickte, tapste er voran und hockte sich hin.
Da saß er eine Weile, während er zitterte und in die Flammen blickte. Herdmutter mahlte in der Zwischenzeit das Ocker weiter. Nach einer recht langen Weile sprach sie: „Nun, was gibt es? Du siehst nicht aus, als seist Du hungrig, und auch ich bin satt.“ Er zuckte nur zusammen. „Sicher bist Du noch noch nicht alt genug, Dich zu paaren, oder?“ Er wurde knallrot und wäre am liebsten auf der Stelle gestorben. „Nicht, dass Du nicht eine bessere Partie finden könntest – wenn Du irgendwann bereit zum Paaren bist. Obgleich ich zu meiner Zeit von vielen Männern verehrt wurde. Dein Urgroßvater schien mich damals zu mögen.“ Dies hätte dem Jungen den letzten Stich versetzt, wenn Herdmutter in dem Moment nicht zu ihm hinüber gereicht hätte, um sein Kinn in ihre Hand zu nehmen. „Du siehst recht hübsch aus. Nun, was ist es, das Du willst?“ Er flüsterte etwas bis sie ihn unwirsch unterbrach: „Sprich lauter! Die Jahre haben mir meinen Gehörsinn abgejagt.“ Sie unterbrach sich, und fuhr dann mit sanfterer Stimme fort, um dem Jungen Mut zu geben: „Was willst Du, Junge?“
Der Junge räusperte sich und sprach dann laut genug, um verstanden zu werden: „Wieso bluten Frauen?“ Die Herdmutter schnaubte: „Alle Leute bluten, wenn sie sich schneiden oder etwas brechen.“ Der Junge blickte wieder verängstigt und sagte leise: „Ja, aber wieso bluten Frauen?“ Er machte eine Pause, holte tief Luft und ergänzte dann: „…aus ihren Frauen…Teilen?“ Jetzt war es an der Herdmutter geschockt zu sein. „Und was geht Dich das an, kleiner Mann? Das ist eine heilige Frauen-Sache und nicht Deine Angelegenheit.“ Sie schaute sehr zornig, und der Junge war verängstigt und wollte gerade flüchten. Doch dann lächelte sie. „Ich bin eine alte Frau, und vielleicht kann ich Dir eine kleine Geschichte erzählen.“ Der Junge freute sich und schaute Herdmutter erwartungsvoll an, während er es sich bequem machte, denn sie war die beste Geschichtenerzählerin, die er kannte.
„Du musst wissen, dass vor langer Zeit die Körper von Männern und Frauen so verbunden waren, dass sich ihre Gesichter sich gegenseitig anblickten. Dann kam das Eichhörnchen und trennte uns voneinander mit einem Werkzeug, dass es vom Steinmann erhalten hatte. Und seither sind Männer und Frauen getrennt, außer wenn sie sich paaren.“ Der Junge lief wieder rot an, und Herdmutter verbarg ein Grinsen. „Das Eichhörnchen musste nun die Wunden, die er aufgeschnitten hatten wieder zunähen, und so entstanden Männer und Frauen.“
Sie schnaubte verächtlich. „Lausige Arbeit. Überall Löcher und herunter hängende Teile. Typisch für einen Mann, das Nähen zu verhunzen. Wenn Herdmutter es gemacht hätte, dann wären die Nähte auch anständig geworden.“ Sie blickte einen Moment lang verträumt in die Dunkelheit. „Natürlich hätten Männer und Frauen dann auch nicht so viel Spaß beim Paaren. Also ist es vielleicht gar nicht so schlecht.“ Der Junge verzog eine Grimasse, als würde es ihm Qualen bereiten nicht fliehen zu können. Die Herdmutter schüttelte ihren Kopf. „Wie dem auch sei, Männer und Frauen verbringen einige Zeit damit zu versuchen, wieder zueinander zu kommen – und sie genießen es. Doch wenn Männer es versuchen, tun sie es und dann sind sie zufrieden. Nicht so bei den Frauen. Wir vermissen das Zusammensein so sehr, dass zweimal pro Jahreszeit unser Körperteil, das zuvor am innigsten mit der anderen Seite verbunden war, aus Trauer über den Verlust Tränen aus Blut weint.“
Herdmutter beugte sich nach vorne und verbarg ihr Gesicht zwischen den Armen, während ihr Körper vor Lachen bebte. Der Junge hockte wie angewurzelt am Feuer und flüsterte: „Ist das wahr?“ Die Herdmutter hob ihren Kopf während sich ihr Körper immer noch schüttelte. Dann starte sie dem Jungen tief in die Augen. „Was meinst Du?“ Das war zu viel für ihn. Die Panik packte ihn und er rannte hinaus in die Nacht so schnell ihn seine Beine trugen, nur begleitet vom lauten Lachen der Herdmutter, dass in der Ferne als Echo verhallte.
Hinweise
- © 2003, 2016 Oliver D. Bernuetz oliverbernuetz.neocities.org
- aus dem Englischen Robin Mitra © 2019 Humakt e.V.
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